Pioniere mit breitem Horizont: Data Scientists an der HEIBRiDS
Nachwuchskräfte, die sich mit Data Science und einer Fachdisziplin auskennen, sind hochgefragt. An der Helmholtz-Graduiertenschule HEIBRiDS kooperieren elf namhafte Institutionen in Berlin-Brandenburg, um junge Forscherinnen und Forscher an dieser Schnittstelle auszubilden. Das Themenspektrum reicht dabei von der Genforschung bis hin zur Astronomie.
Der Computer, an dessen Funktionsweisen Elizabeth Robertson im Labor am DLR- Institut für Optische Sensorsysteme tüftelt, sieht so ganz anders aus als ein gewöhnlicher Rechner: Er besteht aus Lasern, Linsen, Spiegeln und einer kleinen, mit Cäsiumdampf gefüllten Zelle. „Eines Tages soll dieser Computer mit Licht rechnen statt mit Strom wie ein gewöhnlicher PC“, beschreibt die junge Doktorandin. „Auf so einem photonischen Prozessor könnten KI-Algorithmen irgendwann deutlich schneller und auch energieeffizienter laufen als heute.“ Robertsons Projekt gehört zu einer besonderen Graduiertenschule: Seit 2018 bildet die „Helmholtz Einstein International Berlin Research School in Data Science“ HEIBRiDS Nachwuchskräfte aus, die die modernsten Methoden der Datenwissenschaften in verschiedene Fachdisziplinen hineintragen sollen.
„Die Datenwissenschaften werden für die Forschung von Jahr zu Jahr wichtiger,“ erläutert Uwe Ohler, Bioinformatiker am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin (MDC) und einer der Initiatoren der School. So liefern moderne Bildgebungsverfahren Aufnahmen mit enormer Auflösung – entsprechend rasant wächst die Datenflut, die es zu speichern und zu verarbeiten gilt. Auch Datensicherheit und statistische Verfahren gewinnen konstant an Bedeutung. Besonders augenfällig aber sind die Fortschritte bei der Künstlichen Intelligenz: Durch die immer schnelleren Computer und die stetig wachsenden Datenmengen sind die Algorithmen der neuronalen Netze und des maschinellen Lernens mittlerweile extrem wirkmächtig. „Früher nutzten wir den Computer vor allem, um menschliche Fähigkeiten zu automatisieren“, beschreibt Ohler. „Heute können datengetriebene KIs Erkenntnisse aufspüren, die der Mensch nie in den Daten erkennen würde. Das ermöglicht ganz neue Einsichten in ein wissenschaftliches Problem.“
Angesichts dieser Entwicklung steigt der Bedarf an Fachkräften, die sich mit den jüngsten Methoden der Datenwissenschaften auskennen und innovative Verfahren für den Einsatz in unterschiedlichsten Fachrichtungen entwickeln – von der Biologie über die Physik hin zu Geoforschung und Archäologie. Um dieser Nachfrage Rechnung zu tragen, sind unter dem Dach der Helmholtz Information & Data Science Academy (HIDA) mittlerweile sechs Graduiertenschulen in ganz Deutschland entstanden. Die HEIBRiDS, 2018 aus der Taufe gehoben, ist die erste dieser Schulen – und somit der Pionier. Angesiedelt ist sie im Großraum Berlin, getragen wird sie von zwölf Institutionen: von den drei großen Berliner Universitäten, der Charité-Universitätsmedizin, dem Einstein Center Digital Future und den sechs Helmholtz-Zentren aus der Region.
Vielfältige Forschung – die Institutionen hinter der HEIBRiDS
Die Institutionen hinter der HEIBRiDS
Humboldt-Universität zu Berlin
Charité Universitätsmedizin Berlin
Einstein Center Digital Future (ECDF)
Deutsches Elektronen Synchrotron (DESY)
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Deutsches GeoForschungsZentrum Potsdam(GFZ)
Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB)
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
Das Plus: Doppelte Betreuung
Das Graduiertenprogramm zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus: So werden alle 25 HEIBRiDS-Promovierenden von jeweils zwei Professorinnen bzw. Professoren betreut – wobei die eine Hälfte des Tandems aus den Computerwissenschaften kommt, die andere aus einer Fachdisziplin. „Das erlaubt den Teilnehmenden, wirklich tiefe Einblicke in beide Gebiete zu erhalten, sowohl in die Informatik als auch in die jeweilige Fachrichtung“, sagt Ohler. „Dadurch kommen sie mit ganz unterschiedlichen Ansätzen und Ideen in Kontakt.“ Auch Elizabeth Robertson, die in England einen kombinierten Studiengang aus Physik und Informatik absolviert hat, ist von dem Konzept angetan: „Meine beiden Betreuer sehen mein Projekt aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, und das ist für meine Arbeit höchst wertvoll“, beschreibt sie. „Und: Ich habe zwei Büros an zwei verschiedenen Forschungseinrichtungen!“
„Meine beiden Betreuer sehen mein Projekt aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, und das ist für meine Arbeit höchst wertvoll.“
Elizabeth Robertson, Promovendin an der HEIBRiDS
Ein weiteres Kennzeichen von HEIBRiDS ist die enorme Vielfalt der Promotionsthemen: Sie ergibt sich aus der großen inhaltlichen Spannbreite der beteiligten Institutionen und reicht von der Polarforschung über Astronomie und Molekularbiologie bis hin zu den Geowissenschaften. In einem der Projekte geht es darum, die Erdbebenvorhersage durch den Einsatz eines selbstlernenden Algorithmus zu verbessern. Ein anderes versucht, das Aufladen von Elektrobussen durch Solarmodule per KI effizienter zu machen. Und eine Doktorandin will die Auswertung von Mikroskopaufnahmen der Lunge optimieren – und zwar mit Hilfe eines neuronalen Netzes, also einer Software, die der Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachempfunden ist.
Hands-on-Arbeit und Austauschmöglichkeiten
Elizabeth Robertson dagegen greift bei ihrer Doktorarbeit nicht nur zu Maus und Tastatur, sondern manchmal auch zu Schraubenzieher und Lötkolben. „Ich versuche gerade im Labor des DLR Instituts für Optische Sensorsysteme in Adlershof eine Art Lichtspeicher zu bauen“, erzählt sie. „Er besteht aus einer Zelle gefüllt mit Cäsiumdampf, mit der wir Laserlicht einfangen und speichern wollen.“ Die Vorrichtung wäre ein wichtiger Bestandteil eines neuartigen Computertyps, der mit Licht arbeitet und nicht wie üblich mit Elektronen. Solch ein „photonischer Prozessor“ verspricht einiges: Er könnte bestimmte KI-Algorithmen extrem schnell ausführen: „Manche Operationen, die auf einem Computer sehr kompliziert sind, gelingen mit Licht sehr einfach“, erklärt die Engländerin. „Man lässt Licht einfach durch eine Linse laufen, und schon ist die Rechenoperation erledigt.“ Dadurch könnten KI-Algorithmus auf einem photonischen Prozessor nicht nur schnell, sondern zugleich auch wesentlich energieeffizienter laufen. „Die heutigen Chips können extrem heiß werden, und es wird immer schwieriger, diese Hitze abzuführen“, erklärt Robertson. „Unser Prozessor hätte dieses Problem nicht und würde erheblich weniger Strom verbrauchen und dadurch Ressourcen schonen.“
An der HEIBRiDS schätzt sie nicht nur die Tandem-Betreuung, sondern auch den Kontakt zu den anderen Teilnehmenden der Graduiertenschule. „Wir treffen uns alle zwei Wochen, und jedes Mal wird eines der Projekte vorgestellt“, erzählt Robertson. „Anschließend gibt es immer viel Austausch und sehr lebhafte Diskussionen.“ Denn auch wenn die Doktorandinnen und Doktoranden auf unterschiedlichen Themenfeldern unterwegs sind, zeigen die von ihnen verwendeten Datenverfahren oft verblüffende Ähnlichkeiten: Ein Algorithmus, der Auffälligkeiten in einer Röntgenaufnahme entdeckt, kann in abgewandelter Form womöglich auch Muster in den Messwerten eines Teilchenbeschleunigers aufspüren.
„Das Programm hat Fachleute aus verschiedenen Ecken Berlins zusammengeführt, die sich ansonsten nicht so einfach über den Weg laufen.“
Uwe Ohler, Sprecher der HEIBRiDS
Zum Programm gehört ferner eine Seminarreihe. Sie bietet hochkarätige Vorträge über verschiedenste Themenfelder, etwa das Machine Learning beim Quantencomputer oder den KI-Einsatz im Mobilfunk. „Das ist selbst für mich richtig spannend“, meint HEIBRiDS-Mitinitiator Uwe Ohler. „Da kann ich Einblicke in andere Bereiche gewinnen und komme dadurch ab und zu sogar auf neue Ideen für meine eigene Forschung.“ Die bisherigen Erfahrungen mit dem Programm seien positiv, meint der MDC-Forscher, es sei gelungen, bei den Teilnehmenden das Gefühl einer gemeinsamen Identität zu schaffen. „Und für die Berliner Forschungslandschaft nimmt HEIBRiDS eine wichtige Brückenfunktion ein, indem es die Universitäten und die Helmholtz-Zentren enger miteinander verknüpft“, so Uwe Ohler. „Das Programm hat Fachleute aus verschiedenen Ecken Berlins zusammengeführt, die sich ansonsten nicht so einfach über den Weg laufen.“
Zukunftspläne
Für die Zukunft wünscht er sich noch intensivere Kontakte, etwa zum noch jungen Berliner Forschungszentrum BIFOLD („Berlin Institute for Foundations of Learning and Data“), das in den nächsten Jahren zu einem der führenden KI-Institute Deutschlands werden soll. Auch BIFOLD plant den Aufbau einer Graduiertenschule, und gemeinsame Veranstaltungen könnten dem Feld noch mehr Sichtbarkeit verleihen. „Außerdem wollen wir bei HEIBRiDS in Zukunft verstärkt auch internationale Informatik-Firmen an Bord holen, etwa Google oder Amazon“, erzählt Ohler. „Und auch die Vernetzung mit der lokalen Startup-Szene wollen wir vorantreiben, das könnte zum Beispiel für Praktika interessant sein.“ Außerdem suchen auch Hightech-Unternehmen dringend nach jungen Fachkräften, die innovative IT-Methoden in die Firmen bringen. HEIBRiDS-Absolventinnen und Absolventen bringen dafür beste Voraussetzungen mit.
Und Elizabeth Robertson? Seit September 2020 forscht sie an ihrer Promotion, Ende 2023 könnte sie fertig sein. „Danach könnte ich mir vorstellen, weiter in dem Feld zu arbeiten“, erzählt sie. „Das Projekt hier macht wirklich Spaß, besonders die Arbeit im Labor, wenn ich mit dem Schraubenzieher selbst Hand anlegen kann.“ Ihr Traum-Arbeitsplatz allerdings liegt ein paar Stockwerke höher: „Am liebsten würde ich Astronautin werden“, sagt die 25-Jährige. „Doch leider war ich bei der letzten Bewerbungsrunde noch zu jung.“ Bei der nächsten Gelegenheit kann sie es ja wieder versuchen. Und dann ist nicht auszuschließen, dass erstmals eine HEIBRiDS-Absolventin per Rakete ins All abhebt.
Autor: Frank Grotelüschen